Zu Besuch im Shiva-Tempel in Glattbrugg

Religion und Brauchtum
Hinduismus in Opfikon



Etwas hinter dem Bahnhof Glattbrugg, in einem alten Fabrikgebäude an der Industriestrasse befindet sich einer von rund 20 hinduistischen Tempeln in der Schweiz. Es ist Freitagabend, kurz vor 19 Uhr. Im Eingang stehen etliche Paar Schuhe, der Duft von Räucherstäbchen steigt einem beim Betreten in die Nase. Einige Personen sitzen an die Wand gelehnt am Boden, andere laufen geschäftig hin und her. Sie sind noch mit den Vorbereitungen für die Zeremonie beschäftigt.

Ein Teil der gut drei Dutzend Männer und Frauen trägt traditionelle Kleidung aus ihren Herkunftsländern – die meisten von ihnen sind Tamilen aus Sri Lanka –, andere sind in Jeans und Pullover gekommen. Der bunte Raum ist hell beleuchtet, aus den Lautsprechern ertönt orientalische Musik.

Text: Katja Büchi
Bilder: Sibylle Meier
Realisation: Michael Caplazi


«Einen Tempel kann man grundsätzlich in jedem Gebäude erstellen, es gibt aber bestimmte Regeln bezüglich der Einrichtung.»

Krishna, Vorstandsmitglied


Gesang und Rituale

Der Priester initiiert die Puja, so heisst der hinduistische Gottestdienst, vor dem Hauptaltar in der Mitte des Raumes. Darauf thront eine Statue von Shiva, einer der wichtigsten Gottheiten im Hinduismus (siehe Box rechts). Ihm ist der Tempel in Opfikon gewidmet. Rechts neben ihm steht eine Figur seiner Frau Parvati.

Auf den anderen Altären befinden sich weitere Götterstatuen zum Beispiel von Brahma, ein anderer Hauptgott im Hinduismus, oder von Vinayagar, Shivas Sohn. Vinayagar ist auch unter dem Namen Ganesha bekannt und hat durch seinen Elefantenkopf einen hohen Wiedererkennungswert. Im Uhrzeigersinn werden nun die Altäre der Reihe nach umrundet, dabei wird gesungen. «Das wird nun 108 Mal wiederholt», erklärt ein Teilnehmer das Vorgehen bei einem Lied.



Opfergaben sind nebst dem repetitiven Gesang ein weiterer zentraler Bestandteil der Puja. Bei einem Ritual schlägt der Priester mit dem Messer eine Kokosnuss auf, bei einem anderen opfert er Bananenstücke auf grünen Blättern unter steter Wiederholung eines Mantras.



Im Verlauf der zweistündigen Zeremonie treffen immer mehr Menschen ein, um daran teilzunehmen. Am Ende sind es rund 80, an anderen Tagen kommen bis zu 150. Beim Eintreten bleiben sie jeweils andächtig stehen und schauen zum Hauptaltar, bevor sie den Rundgang beginnen und sich in die Gruppe eingliedern. Zum Abschluss der Puja sitzen alle auf dem Boden und singen die als heilig geltende Silbe «Om», bevor sie für einige Minuten schweigen. Der Reis und das Gemüse für das gemeinsame Essen danach stehen schon bereit, im Tempel gibt es ausschliessliche vegetarische Speisen.


HINDUISMUS - die drittgrösste Religionsgruppe der Welt

Mit knapp einer Milliarde Hindus weltweit bildet der Hinduismus die drittgrösste Religionsgruppe der Welt. Die grosse Mehrheit, rund 99 Prozent, leben in Indien, Sri Lanka oder anderen Ländern Asiens. In der Schweiz machen die rund 50 000 Hindus etwa 0,6 Prozent der Bevölkerung aus. Gemäss dem Schweizerischen Dachverband für Hinduismus sind die meisten hier lebenden Hindus Tamilen, die in den 1980er-Jahren wegen des Bürgerkriegs zwischen Singhalesen und Tamilen nach Europa geflüchtet sind.

Da es viele unterschiedliche Ausprägungen gibt, ist Hinduismus vielmehr ein Sammelbegriff für Glaubensrichtungen aus dem südasiatischen Raum, als die Bezeichnung einer konkreten Religion. So gehören sowohl monotheistische als auch polytheistische Auffassungen zum Hinduismus.

Erste Spuren finden sich schon Jahrtausende vor Christus, doch der genaue Ursprung gilt als unbekannt.
Hindus bezeichnen ihren Glauben auch als Santana-Dharma, die ewige Religion. Der Begriff Hindu ist wiederum abgeleitet von Fluss Indus und wurde zuerst von den Muslimen verwendet, um die indische Religion zu benennen.

Ein zentraler Aspekt des hinduistischen Glaubens ist, dass die Zeit keinen Anfang und keine Ende kennt, sondern zyklisch verläuft. So ist auch die Seele unsterblich und wandert gemäss ihrem Karma, gutes oder schlechtes Verhalten, durch unterschiedliche Leben. Somit ist die Idee der Wiedergeburt, Punarjanma, wichtig. Durch spirituelle Handlungen kann man aus dem ewigen Kreislauf ausbrechen und in die Ewigkeit oder ins Gottesreich gelangen.

Anders als beispielsweise das Christentum kennt der Hinduismus nicht nur eine Schrift und einen Gott; beides ist in grosser Anzahl vorhanden. Zur Veranschaulichung können die Hindu-Gottheiten mit der griechischen Mythologie verglichen werden, in der auch jeder Gott und jede Göttin Zuständigkeitsbereiche hat und über alle Lebensbereiche bestimmt.

So ist Shiva für die Auflösung des Kosmos am Ende der Zeit zuständig, Brahma hingegen gilt als Schöpfer der Welt. Vishna, der dritte Hauptgott, ist der Erhalter des Universums. Vinayagar entfernt Hindernisse im Leben, Parvati personifiziert die Mutterliebe.

Während hierzulande zwar nur ein kleiner Teil der Bevölkerung dem Hinduismus angehört, haben sich gewisse Aspekte davon dennoch stark etabliert: so etwas Yoga als Sport, Medi-tation oder auch die traditionelle indische Heilkunst Ayurveda haben ihre Ursprünge im Hinduismus.


Mit drei Bildern begonnen

Rashakrishnan Pararajasingam, kurz Krishna genannt, ist Vorstandsmitglied vom Hindu Verein Saiva Thamil Sangam, der den Tempel betreut. Der Tamile ist 1989 von Sri Lanka in die Schweiz gekommen und lebt in Opfikon. Er ist an diesem Abend auch erst etwas später dazu gestossen, seine Frau Pratheepa Rashnakrishnan hat während des Rundgangs einige Lieder vorgetragen. «Freitag ist der traditionelle Bettag, deswegen ist die Puja dann länger», erklärt Krishna. 365 Tage im Jahr findet um 12 Uhr und um 19 Uhr im Shiva-Tempel eine Zeremonie statt, die dann etwa eine halbe Stunde dauert.

Krishna zeigt auf die hintere Wand des Tempels, an der drei gerahmte Bilder von Shiva und anderen Gottheiten hängen, und sagt: «Mit diesen haben wir vor über 20 Jahren angefangen. Damals hatten wir für die Zeremonie am Freitag einen Raum im Volkshaus in Zürich gemietet, die Bilder brachten wir jedes Mal mit.» Der Verein fand danach in Zürich Affoltern ein Lokal, bevor er 2003 den Tempel in Opfikon an der Industriestrasse eröffnete. Hier werden keine Anwohner durch die teilweise lauten Feste – beispielsweise das mehrtägige Lichterfest Diwali – gestört, wie das am vorherigen Ort der Fall war.

«Einen Tempel kann man grundsätzlich in jedem Gebäude erstellen, es gibt aber bestimmte Regeln bezüglich der Einrichtung», erklärt Krishna. So müsse unter anderem der grosse Altar mit der Shiva-Statue nach Norden gerichtet sein. Die Scheinwerfer, die während der Puja leuchten, sorgen dafür, dass es hell ist, denn man solle nicht im Dunkeln beten. «Die Lichter symbolisieren die Sonne», sagt Krishna.


«Freitag ist der traditionelle Bettag, deswegen ist die Puja dann länger.»

Krishna, Vorstandsmitglied
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