Vom Getreidekorn bis zum Mehl ist es ein langer Weg



Kulinarisches Handwerk

Gab es einst allein im Embrachertal sechs Mühlen, ist die Mühle in Oberembrach heute die letzte ihrer Art im Zürcher Unterland. In dem aus dem Jahr 1648 stammenden Gebäude wird regionales Getreide zu 25 verschiedenen Mehlsorten vermahlen. Das meiste davon stammt von Weizen-, Dinkel- und Roggenkörnern. Und obwohl Vollkornmehl ein Vielfaches an wertvollen Nährstoffen enthalten würde, kaufen die Kunden am liebsten Weissmehl.

Text: Martina Cantieni
Bilder: Balz Murer
Realisation: Michael Caplazi

Vom Siloturm aus führen 17 Röhren in die Kammern, wo das verschiedene Getreide gelagert wird. Hauptsächlich ist dies Weizen, Roggen und Dinkel.

Vom Siloturm aus führen 17 Röhren in die Kammern, wo das verschiedene Getreide gelagert wird. Hauptsächlich ist dies Weizen, Roggen und Dinkel.

80 Treppenstufen führen hinauf in den Silo der Mühle in Oberembrach. Urs Brunner nimmt den Weg in den engen Turm alle paar Wochen unter die Füsse, hauptsächlich um Kontrollarbeiten durchzuführen. Da Chauffeur Jonny Lacher soeben 7 Tonnen Roggenkörner angeliefert hat und diese nun in den Turm hinauf befördert werden, kann Brunner den Vorgang auch gleich von oben überwachen und einen Blick in die 17 verschiedenen Kammern werfen. In 16 Metern Tiefe lagern vor allem verschiedene Qualitäten von Weizen, Roggen und Dinkel. Andere Getreide wie Emmer, Einkorn oder Hafer sind nur in geringen Mengen vorhanden. Urs Brunner ist zufrieden, die Anlieferung des Roggens klappt einwandfrei, und auch die Qualität des Korns überzeugt den Fachmann.

Sämtliches Getreide, das in der Mühle verarbeitet wird, stammt wenn möglich aus der Region. Während der Haupterntezeit im Juli und August wird es direkt von den Bauern angeliefert, in den übrigen Zeiten lagert es im Aussendepot in Töss und wird bei Bedarf nach Oberembrach geliefert. Insgesamt 1500 Tonnen Getreide haben in der Mühle Platz. «Ganz früher hat praktisch jeder Bauer sein eigenes Getreide gemahlen», erzählt Brunner auf dem Weg zurück auf sicheren Boden. «Heute gibt es im ganzen Kanton gerade mal noch vier Getreidemühlen, die Backmehl herstellen.»

«Was der Mensch in der Natur fortwirft, wird vom Wind in die Felder getragen und via Mähdrescher gelangt dieser Abfall ins Getreide.»

Urs Brunner

Für das Abfüllen der 25-Kilo-Mehlsäcke ist eine Maschine zuständig. Jonny Lacher überwacht den Vorgang.

Für das Abfüllen der 25-Kilo-Mehlsäcke ist eine Maschine zuständig. Jonny Lacher überwacht den Vorgang.

Glas, Alu und Plastik müssen raus

In der eigentlichen Mühle angekommen, wird schnell deutlich, dass sich in den letzten Jahrzehnten und vor allem Jahrhunderten nicht nur die Anzahl der Mühlen drastisch verändert hat, sondern auch das eigentliche Mahlen immer technischer wurde. «Müller ist in der Tat ein sehr komplexer Beruf», bestätigt Brunner und deutet auf die erste Maschine im ganzen Mahlprozess. Hier wird das Getreide gereinigt und diejenigen Bestandteile herausgefiltert, die im Mehl nicht erwünscht sind. Neben natürlichen Zutaten wie Streu, Unkrautsamen und kleinen Steinchen filtert die Maschine auch Glassplitter, Aluminium und Plastikteile heraus. «Was der Mensch in der Natur fortwirft, wird vom Wind in die Felder getragen und via Mähdrescher gelangt dieser Abfall ins Getreide», erzählt Brunner. 1 bis 2 Prozent des angelieferten Getreides wird aussortiert noch bevor es ans eigentliche Mahlen geht.

Im Weissmehl fehlen viele Vitamine und Mineralstoffe

Die Mühle in Oberembrach ist die letzte ihrer Art im Zürcher Unterland; sie kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Das heutige Gebäude samt Wirtschaft stammt aus dem Jahr 1648. Wurde sie früher mit Wasserkraft betrieben, so würde heute ohne Strom gar nichts mehr funktionieren. Die Brunners führen den Betrieb in vierter Generation. Für das Administrative sowie für den Mehlladen ist Urs Brunners Frau Margrith zuständig. Die beiden lernten sich während ihrer Lehrzeit in einem grossen Müllereibetrieb kennen: Urs machte die Ausbildung zum Müller, Margrith absolvierte das KV. Heutzutage lernen nicht mehr viele Junge den Beruf des Müllers oder der Müllerin. 2017 schlossen in der Deutschschweiz gerade mal 13 junge Erwachsene ihre Lehre ab. Im Moment bildet Brunner zwar keine Lehrling aus. Bei Interesse für eine Lehre mit Fachrichtung Lebensmittel kann man sich aber bei ihm melden.

Mittlerweile ist der Weizen, der momentan durch die Maschinen wirbelt, gereinigt. In mehreren Stufen verarbeiten die Walzen das Getreide nun in immer feinere Strukturen. Zuallererst muss das Mehlkorn von der Schale getrennt werden. Danach wird – ganz simpel ausgedrückt – Griess und Dunst zu Mehl. Immer wieder kontrolliert Urs Brunner das Produkt der verschiedenen Walzen. Eben taucht er einen kleinen Metallspachtel in die herausgesiebte Kleie, ein sehr ballaststoffreiches Nebenprodukt der Mehlherstellung. «Ein Teil der Kleie wird für Müeslis verwendet», erklärt Brunner, der grösste Teil lande aber in der Futtermittelindustrie. Vollkorn oder Grahammehle wären zwar die gesündesten Mehle, da sie viel mehr Vitamine und Mineralstoffe enthalten als helle Mehle, dennoch machen sie nur einen geringen Teil der hiesigen Mehlproduktion aus – die Brunners richten sich nach den Bedürfnissen ihrer Kunden. Über 50 Prozent der verkauften Mehle sind Weissmehle, für die nur der innerste Teil des Getreidekorns verwendet wird.

«Ganz früher hat praktisch jeder Bauer sein eigenes Getreide gemahlen. Heute gibt es im ganzen Kanton gerade mal noch
vier Getreidemühlen, die Backmehl herstellen.»

Urs Brunner


Durch ein dünnes Rohr gelangt das Getreide, welches an diesem Tag gemahlen wird, vom Siloturm in die Mühle.

Rund die Hälfte des gemahlenen Getreides wird in 25-Kilo-Säcken verkauft.

Rund die Hälfte des gemahlenen Getreides wird in 25-Kilo-Säcken verkauft.

Das Mehl bleibt in der Region

Ein eben solches Weissmehl füllt Jonny Lacher einen Stock tiefer in 25-Kilo-Säcke ab. Pro Jahr entstehen in der Oberembracher Mühle aus 2000 Tonnen Getreide rund 1600 Tonnen Mehl. Der weitaus grösste Teil wird für grössere Bestellungen in Säcke portioniert oder per Tankwagen direkt in Bäckereien im Embrachertal in der näheren Region geliefert. Einen kleinen Teil verkauft Margrith Brunner im Mehlladen, den die Familie vor drei Jahren ausgebaut hat. Hier wird das Mehl auch in handlicheren 2,5- oder 5-Kilosäcken angeboten. Und natürlich verwendet auch Urs Brunners Bruder, der das angrenzende Restaurant Mühle führt, das in der Mühle Oberembrach gemahlene Mehl für Brot und Knöpfli.

Im Mehlladen der Familie Brunner können diverse Mehle in Bio und in konventioneller Qualität gekauft werden. Infos sowie die Öffnungszeiten sind unter www.muehle-oberembrach.ch zu finden.

Die Mühle Oberembrach nimmt Teil am Schweizerischen Mühletag am Samstag, 1. Juni, von 10 bis 17 Uhr.

© Tamedia