Jährlich 4000 Einsätze für Tiere in Not

ZU-Sommerserie «Mensch und Tier»

Der Tierrettungsdienst Winkel fährt jährlich rund 4000 Einsätze um Wildtiere und Haustiere aus der Region zu bergen und verarzten. Die Rettungsfahrer und zahlreichen freiwilligen Helferinnen und Helfer kommen dabei öfters an ihre Grenzen.

Text: Astrit Abazi
Bilder: Sibylle Meier
Realisation: Michael Caplazi


Ein leichter Regen und Windböen ziehen über das Unterland. Für junge Wildtiere kann dieses Wetter besonders gefährlich werden, so auch heute. Der Tierrettungsdienst in Winkel erhält um 8 Uhr bereits den vierten Einsatz dieses Tages: Ein Vogel, ein nicht flügger Star, ist in Rümlang vom Dach eines Industriegebäudes gefallen. Bevor Patrick Huber, seit drei Jahren festangestellter Rettungsfahrer, losfährt, begibt er sich in die Absonderungsstation und macht acht junge Hausrotschwänze für den Transport bereit.

Im Tierheim Pfötli werden vorwiegend gerettete Haustiere untergebracht, aber auch Wildtiere. In den drei Absonderungsstationen werden die Tiere während den ersten Wochen einzeln gehalten und betreut. Dadurch wird verhindert, dass sich Krankheiten im Tierheim ausbreiten. Nach ihrem kurzen Aufenthalt im Tierheim kommen die Hausrotschwänze mit auf den Einsatz und werden später zusammen mit dem Star, den Huber in Rümlang birgt, in die Voliere nach Zürich gebracht. In dieser Vogelpflegestation werden die Tiere aufgepäppelt und, wenn sie gesund sind, wieder freigelassen.

Neue Herausforderungen

So kann die Schicht eines Tierrettungsfahrers beginnen. Etwa 4000 Rettungseinsätze fahren die Tierretterinnen und Tierretter pro Jahr. Dabei sind drei festangestellte Fahrer und rund 50 freiwillige Helferinnen und Helfer so rund um die Uhr und das ganze Jahr über im Einsatz. Sie sind oft die erste Anlaufstelle für die Erste Hilfe oder den Transport verletzter Tiere. Einen herkömmlichen Tag gibt es für Huber und seine Kollegen aber eigentlich nicht. Er fährt von einem Einsatz zum anderen, sei es nun ein Transport oder eine Rettung, jede Fahrt bringt ihre eigenen Herausforderungen mit sich. Was ihn genau erwartet, weiss er oft nur in groben Zügen. «In der Regel mache ich mir erst ein Bild, wenn ich vor Ort bin», sagt Huber. «Es ist meistens sowieso anders als erwartet.»

Es komme auch vor, dass man Einsätze fahren muss, die leer ausgehen. Dies, weil viele Personen beispielsweise nicht unterscheiden können, ob ein Vogel tatsächlich verletzt und auf Hilfe angewiesen ist. Oftmals handelt es sich um Jungtiere, die noch nicht fliegen können, aber von ihren Eltern am Boden weiter gefüttert werden.

Seit Anfang 2018 erlaubt das Gesetz nur noch eine eingeschränkte Rettung von Wildvögeln. Seither dürfen nur noch Segler, Schwalben, Greifvögel sowie geschützte Singvögel, die nicht schwer verletzt sind, gerettet werden. Auch andere Wildtiere, wie beispielsweise Eichhörnchen und Igel, werden gerettet und in spezialisierten Auffangstationen untergebracht.

Der nächste Halt ist so auch die Greifvogelstation in Berg am Irchel. Dort holt Patrick Huber einen Turmfalken mit einem verletzten Flügel und einen Schwarzmilan mit Verdacht auf Vergiftung ab. Die beiden Vögel werden zu ihrem eigenen Schutz gut verpackt in Transportboxen untergebracht. Sie müssen sofort ins Tierspital gebracht werden. Auf dem Weg nach Rümlang, wo vier weitere Jungvögel abgeholt werden müssen, geht ein Notruf ein. In Opfikon wurde ein Hund angefahren.


«In der Regel mache ich mir erst ein Bild, wenn ich vor Ort bin. Es ist meistens sowieso anders als erwartet.»

Patrick Huber, Tierrettungsdienst





















Knochenbrüche gehören zu den häufigsten Verletzungen bei Greifvögeln.

Patrick Huber vom Tierrettungsdienst in Winkel musste einen angefahrenen Hund bergen und ins Tierspital transportieren.

Patrick Huber vom Tierrettungsdienst in Winkel musste einen angefahrenen Hund bergen und ins Tierspital transportieren.

Emotionale Arbeit

Als Huber ankommt, sind der Autofahrer sowie zwei Passanten noch vor Ort. Obwohl der Hund blutverschmiert und ängstlich ist, lässt er sich anfassen. Ein kurzer Scan mit dem Lesegerät verrät Huber, dass der verletzte Vierbeiner über einen implantierten Chip verfügt. Mit der Hilfe des Autofahrers schafft es Huber, das Tier zu sichern und ihm einen Maulkorb anzuziehen. Nachdem der Hund im Rettungsfahrzeug untergebracht ist, wird er für weitere Abklärungen ins Tierspital gebracht.

Der Beruf sei auch mit traurigen Einsätzen verbunden, betont Huber. Es komme oft vor, dass die Tierrettung bei einem Todesfall eines Besitzers oder einer Besitzerin zur Unterstützung der Polizei ausrücken muss. «Die Tiere merken natürlich sofort, dass etwas nicht stimmt, und können nervös oder sogar aggressiv werden.» Aber auch wenn Tiere ihren Verletzungen erliegen, ist viel Einfühlungsvermögen gefragt. Als Tierretter komme man da manchmal an die körperlichen und psychischen Grenzen.

Glück im Unglück

Patrick Huber erinnert sich an seinen schwierigsten Einsatz, als er im Hochsommer bei 35 Grad eine wilde Katze aus einer Heutrocknungsanlage holen musste. Diese hatte sich aus unerklärlichen Gründen zwischen die Propeller gezwängt und konnte aus eigener Kraft nicht mehr aus der Anlage klettern. Der Tierretter musste das Fangnetz mühevoll verbiegen und konnte die Mieze erst nach stundenlanger Arbeit aus der Maschine befreien. Diese reagierte dankbar gegenüber ihrem Retter. «Wilde Katzen kommen Menschen sonst nicht so nahe», erzählt er. «In der Tierklinik zeigte sie sich dann wehrhaft.» Trotz der Mühe musste die Katze wegen ihren schweren Verletzungen eingeschläfert werden. Das sei nun mal ein Teil der Arbeit, bemerkt er.

Der junge Hund übrigens, der in Opfikon angefahren wurde, hatte hier mehr Glück. Seine Besitzer wurden schnell gefunden, und nach kurzer Behandlung durfte er wieder nach Hause. Obwohl Herausforderungen zum Alltag des Tierrettungsdienstes gehören, ist das Wohl der Tiere eine eigene Form der Belohnung: «Es ist immer ein sehr schönes Gefühl, sie wieder mit ihren Besitzern zusammenzuführen», sagt Huber.

Mensch und Tier

Der heutige Artikel über den Tierrettungsdienst ist Teil 12 der Serie, in welcher der ZU sich mit der Beziehung von Mensch und Tier befasst. Hiergeht es zu weiteren Folgen.

Jungvögel werden in der Voliere gefüttert.

Jungvögel werden in der Voliere gefüttert.

© Tamedia