Katzen trösten, aktivieren und verlangen nichts

Sommerserie Mensch und Tier

In den meisten Alters- und Pflegeheimen ist heute das Halten von Tieren erlaubt. Längst hat man den positiven Einfluss auf die Körper und Seele der Bewohner erkannt. Auch in Bülach sind Katzen emotionale Türöffner.

Text: Daniela Schenker
Bilder: Johanna Bossart
Realisation: Michael Caplazi


Katze Lissi arbeitet in der Pflegewohngruppe Bergli als Aktivierungstherapeutin - ohne dass sie selbst davon weiss. «Streicht Lissi um die Beine der Bewohnerinnen und Bewohner, können sich manche plötlzlich wieder bücken», sagt Eva Hunziker, Abteilungsleiterin Pflege und Betreuung bei der Stiftung Alterszentrum Region Bülach (Sarb). Lissi und ihr Sohn Sämi sind zwei von insgesamt sieben «offiziellen» Katzen, die an den sechs Standorten der Stiftung leben. Offiziell bedeutet, dass die Angestellten dafür besorgt sind, dass die Tiere regelmässig Futter bekommen und jemand mit ihnen den Tierarzt besucht. Im Bergli übernimmt das Füttern Bewohnerin Verena Lüdi. «Ich bin hier die Katzenmuttter», sagt die73-jährige, lässt ihren Rollator los und bückt sich zu Lissi: «Sie ist mein besonderer Liebling.» Sissi bedankt sich für diese Zuwendung täglich mit einem Besuch, noch vor dem Frühstück. Sie habe früher selber Katzen gehalten, erzählt Lüdi. Wie sie geheissen haben? «Namen vergesse ich heute manchmal, aber ich glaube Maxli und Trixli.» Niemals aber würde sie das Füttern vergessen, und auch das Extra-Leckerli besorgt die Katzenmutter regelmässig im nahe gelegenen Volg.

Seit Jahren im Haus

«Die meisten Katzen hat die Stiftung entweder angeschafft, als sie noch ganz jung waren oder sie kommen aus Tierauffangstationen», sagt Nermin Daki, Geschäftsleiter Sarb.

Bereits vor vielen Jahren hat man  hier die Bedeutung der Vierbeiner für die Bewohner erkannt. So lebt Sissi, die älteste Katze, bereits seit über einem Jahrzehnt am Bülacher Standort Grampen. Sie führt dort ein ziemlich unabhängiges Leben und kann jederzeit ins Freie. Für den Fototermin mit der Zeitung ist sie jedenfalls unauffindbar, da helfen auch die Lockrufe des Geschäftsleiters und eines Bewohners nichts.

Lissi und Sämi waren gar vor den menschlichen Bewohnern im Bergli. Als die Pflegewohngruppe anfangs 2018 eröffnet wurde, hatten die Tiere bereits zwei Monate Eingewöhnungszeit hinter sich.


Vier Fünftel der Heime mit tierischen Bewohnern

Der Schweizer Tierschutz hat 2018 eine Umfrage zum Thema Tiere in Alters- und Pflegeheimen durchgeführt. Von knapp 2000 angeschriebenen Alters- und Pflegeheimen haben 400 geantwortet. In 82 Prozent dieser Heime Tiere. Das beliebteste Tier ist dabei ganz klar die Katze. Diese Tierart ist in 275 von 400 Heimen anzutreffen, gefolgt von Fischen (139 Heime), Hunden (113), Vögeln (91), Ziegen (65), Hühner (57), Nagetiere (54). In 94 Heimen leben andere Tierarten, oft handelt es sich dabei um Alpakas oder Schildkröten. Auf die Frage, ob bei ihnen Therapietiere eingesetzt werden, haben 11 Prozent der Institutionen mit einem klaren Ja geantwortet.

Sämi und Sissi werden auch von den Pflegerinnen heiss geliebt und verwöhnt.

Sämi und Sissi werden auch von den Pflegerinnen heiss geliebt und verwöhnt.

Gerade wegen ihrer Selbständigkeit sind Katzen die weitaus beliebtesten Haustiere in Alters- und Pflegeheimen. Das hat eine schweizweite Umfrage des Schweizer Tierschutzes STS im Jahr 2018 ergeben (siehe Kasten). Die Rückmeldungen haben auch gezeigt, welch positive Erfahrungen die Heime mit den Tieren erleben. Die meistgenannten waren: Freude und Abwechslung im Alltag, Fördern von Kontakten und Kommunikation unter den Bewohnern und Beruhigung von dementen Patienten.

All dies kann Helena Huber, Abteilungsleiterin Pflege und Betreuung im Bachenbülacher Baumgarten bestätigen. «Menschen, die sonst kaum etwas sagen, sprechen plötzlich, wenn eine Katze in ihrer Nähe ist.» Nicht wenige Bewohner seien einst in ländlicher Umgebung aufgewachsen: «Die Tiere erinnern sie an ihre Kindheit und Jugend.» Das löst besonders bei dementen Personen oft erstaunlich positive Reaktionen aus. «Sie können plötzlich wieder Nähe zulassen, vermutlich auch, weil die Tiere überhaupt nichts von ihnen erwarten.» Zudem gäbe es Katzen, die spüren, wenn es den Bewohnern schlecht geht. «Bei uns lebt eine depressive Frau. Immer wenn sie weint, legt sich Katze Lexi zu ihr ins Bett», sagt Huber. Und wenn jemand die Tiere nicht mag? «Dann kann die Zimmertüre jederzeit zu bleiben.» Ausserdem würden die Tiere sehr genau spüren, bei wem sie willkommen sind.

Kaum Konflikte

Zu Konflikten, weil eine Katze in fremdes Territorium eindringt, käme es eher einmal, wenn jemand privat ein Tier halte. Das erlaubt die Stiftung in den Alterswohnungen – vorausgesetzt die Bewohnerinnen und Bewohner können sie selber pflegen und versorgen. Grundsätzlich kann man in eine Wohnung jede Art von Haustier mitbringen, wenn dieses dort gemäss den Vorgaben artgerecht gehalten werden kann. Kann jemand nicht mehr für sein Tier sorgen, wird dieses in der Regel ins Tierheim gebracht.

Sowohl im Grampen als auch im Bergli gibt es regelmässsig Besuch von Freiwilligen mit Therapiehunden. «Auch dieses Angebot wird sehr geschätzt», sagt Nermi Daki. Im Bergli waren vergangenes Jahr gar Therapie-Meerschweinchen zu Gast. «Es war wunderbar zu beobachten, wie die Bewohner auf die kleinen Tiere reagiert haben», sagt Hunziker. Die Stiftung ohne Vierbeiner – das kann er sich jedenfalls nicht mehr vorstellen.

«Menschen, die sonst kaum etwas sagen, sprechen plötzlich, wenn eine Katze in ihrer Nähe ist.»

Helena Huber, Abteilungsleiterin Pflege und Betreuung im Bachenbülacher Baumgarten

Verena Lüdi kümmert sich um ihren vierbeinigen Liebling Sissi.

Verena Lüdi kümmert sich um ihren vierbeinigen Liebling Sissi.

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