Hier wachsen in fünf Lebenswochen unsere Pouletschenkel heran

Die ZU-Serie «Mensch und Tier»

Pouletfleisch wird immer beliebter, weshalb die inländische Produktion vorangetrieben wird. Ein Unterländer Betrieb öffnet seine Stalltür und zeigt, wie die Hühner leben, bevor sie auf unseren Tellern landen.

Text: Andrea Söldi
Bilder: Johanna Bossart
Realisation: Michael Caplazi


Einen Pouletmastbetrieb im Zürcher Unterland zu finden, war gar nicht so einfach. Weder der Verband der Schweizer Geflügelproduzenten noch der Kanton wollten oder durften Auskunft geben, woher die Pouletbrüstchen und –schenkel auf unseren Tellern stammen. Die Branche scheint nicht besonders auf Publizität erpicht zu sein. Womöglich befürchtet sie Kritik aus Tierschutzkreisen. Über Umwege gelangten wir schliesslich an einen Betrieb, der bereit war, dem ZU einen Einblick zu gewähren.

Auf einer Anhöhe oberhalb von Oberweningen ist der Stall bereits von Weitem zu sehen. Der Ventilator deutet darauf hin, dass hier drinnen Tiere leben, die frische Luft benötigen. Der Wintergarten ist zurzeit leer. «Die Tiere sind noch zu jung, um ins Freie zu gehen», erklärt Landwirt Hans Hirt. Zurzeit seien sie erst knapp zwei Wochen alt. Auslauf in den gedeckten Wintergarten erhalten sie ab dem 22. Lebenstag, vorausgesetzt, es ist nicht zu kalt draussen.

Bevor wir in die Halle gelassen werden, stehen strenge Hygiene-Massnahmen an: Wir ziehen einen Einweg-Mantel über, decken die Haare mit einer Haube ab, waschen und desinfizieren die Hände und schlüpfen in Gummistiefel, die am Eingang in einer Wanne mit Desinfektionsmittel bereit stehen. Dann treten wir vorsichtig ein, um die Tiere nicht zu erschrecken. Am Boden, auf ein paar Zentimetern weicher, brauner Einstreu, wuseln tausende flauschig-gelblicher Küken durcheinander. Sie picken Futter aus den Trögen, trinken mit ihren Schnäbeln an den Öffnungen der Wasserleitung, riechen aneinander oder staksen auf die leicht erhöhten Bänke. Es ist warm. Fast 25 Grad gibt das Thermometer an. Ein stetiges Zwitschern, das leise Surren der Lüftung und zwischendurch ein leichtes Dröhnen der Fütterungsmaschine bilden einen besonderen Klangteppich.


«Natürlich kennen wir nicht jedes einzelne Tier, doch manche fallen auf durch eine spezielle Färbung oder ein etwas wilderes Verhalten.»

Marco Hirt

Marco (links) und Hans Hirt haben den Stall vor neun Jahren gebaut.

Marco (links) und Hans Hirt haben den Stall vor neun Jahren gebaut.

Selten Antibiotika

«Natürlich kennen wir nicht jedes einzelne Tier», sagt Sohn Marco Hirt. «Doch manche fallen auf durch eine spezielle Färbung oder ein etwas wilderes Verhalten.» Zweimal täglich macht sich der gelernte Landwirt im hochautomatisierten Stall auf einen Kontrollgang. Er schaut, ob die Tränke und die Fütterungsanlage funktionieren, verteilt bei Bedarf neue Einstreu und sieht sich nach kranken oder toten Tieren um. Durchschnittlich 2 Prozent der Tiere sterben während der Mastzeit. «Krankheiten wie Durchfall kriegen wir meist mit pflanzlichen Mitteln, die wir dem Trinkwasser zugeben, in den Griff», erklärt der Geflügelhalter. Antibiotika habe man bei den 65 Hühnergruppen, die auf dem Erlenhof bereits grossgezogen wurden, erst vier Mal einsetzen müssen.

Innert 33 bis 37 Tagen wachsen die Tiere bis zur Schlachtreife heran. Der grösste Teil der Arbeit fällt für Marco Hirt nach dem Abtransport der Tiere an. Bevor die neuen Küken eintreffen, muss er den Stall gründlich säubern und desinfizieren. Die Einstreu mit den Exkrementen dient als Dünger. Der Stall wird mit Gas geheizt. Wenn die Tiere klein sind, brauchen sie eine Temperatur von 33 Grad Celsius, am Schluss reichen 18 Grad. Wird es im Sommer sehr heiss, wird mit Sprühnebel gekühlt. Pro Tier mit rund 2 Kilogramm Gewicht erhält der Bauer zwischen 1,40 und 2 Franken, während der Konsument je nach Köperteil zwischen 20 und 30 Franken pro Kilo bezahlt.

Die Familie Hirt hat den Stall mit Platz für 17 500 Hähne und Hennen vor neun Jahren gebaut. Als Sohn Marco auf dem Betrieb einsteigen wollte, habe man zusätzlich zum Ackerbau und der Rindermast nach einer weiteren Erwerbsmöglichkeit gesucht, sagt Hans Hirt. «Ein Inserat in der Bauernzeitung, in dem Mastbetriebe gesucht wurden, brachte uns auf die Idee.»

15 Tiere pro Quadratmeter

Für 15 Tiere muss mindestens ein Quadratmeter zur Verfügung stehen. Sind die Vögel ausgewachsen, dürften die Verhältnisse also etwas eng werden. Sie würden aber nicht darunter leiden, beschwichtigt Hans Hirt. «Hühner haben gerne Körperkontakt. Sie sitzen häufig nahe beieinander.» Zudem seien die Vorschriften in der EU deutlich weniger tierfreundlich: Pro Quadratmeter sind etwa 21 Tiere zugelassen – oder gemäss branchenüblicher Formulierung: 42 Kilogramm.

Bei unserem Besuch sind die Hühnchen aber erst taubengross und haben noch viel Platz. Sie sind beschäftigt mit ihrer Hauptaufgabe: Gewicht zulegen. Die Tiere wirken gesund und vital, vielleicht sogar zufrieden. Noch ahnen sie wohl nichts davon, dass ihnen in etwa drei Wochen der Abtransport auf den Schlachthof bevorsteht.

Schweizer lieben Brüstli

Die Pouletsherstellung wurde in den letzten Jahren in der Schweiz vorangetrieben. Denn vor 20 Jahren stammte erst gut 40 Prozent des hier konsumierten Geflügels aus der Schweiz. Mittlerweile liegt der Anteil bei 65 Prozent, während beim Schweinefleisch die Nachfrage zu 84 Prozent und beim Rindfleisch gar zu 95 Prozent aus Schweizer Produktion gedeckt werden kann. Viele Konsumenten ziehen einheimisches Fleisch vor, weil die Tierschutzbestimmungen hierzulande generell strenger sind als im Ausland. Die Lust auf Poulet steigt stetig. Denn das Fleisch gilt als gesund und ist im Gegensatz zum Schwein in allen Religionen zugelassen. In der Schweiz sind allerdings die Brüstchen beliebter als Flügeli und Schenkel. Deshalb werden weiterhin Brüstchen importiert, während anderes inländisches Fleisch wie etwa Innereien teilweise zu Haustierfutter verarbeitet wird.

Poulet gilt als ökologischer als anderes Fleisch, weil das Verhältnis zwischen Futter und Fleischertrag vergleichsweise günstig ausfällt: Für ein Kilogramm Lebendgewicht, von dem rund 700 Gramm auf Schweizer Tellern landen, braucht es heute lediglich noch eineinhalb Kilogramm Futtermittel. Beim Rind beträgt das Verhältnis etwa 12: 1, wobei ein Teil davon Gras ist, beim Schwein 3:1.




Der heutige Artikel über Masthühner ist Teil 15 der Serie, in welcher der ZU sich mit der Beziehung von Mensch und Tier befasst. Alle Folgen gibt es hier.



Im Alter von knapp zwei Wochen haben die Hühnchen auf dem Erlenhof in Oberweningen noch viel Platz. In drei Wochen wird es enger aussehen.

Im Alter von knapp zwei Wochen haben die Hühnchen auf dem Erlenhof in Oberweningen noch viel Platz. In drei Wochen wird es enger aussehen.

© Tamedia