Die Swiss feiert die zehnte 777

Blick in eine Halle der Boeing-Werke in Everett, nahe Seattle (USA). Hier gibt es grosse Düsenjets quasi ab Fliessband.

Blick in eine Halle der Boeing-Werke in Everett, nahe Seattle (USA). Hier gibt es grosse Düsenjets quasi ab Fliessband.

Es war 14.38 Uhr Ortszeit in Everett (USA), als Kapitän Yves Dissler und sein erster Offizier Frank ­Zuber am vergangenen Dienstag die Schubhebel der Boeing 777-300ER nach vorne stiessen – das Flugzeug brandneu, und der Auslieferungsflug (Delivery Flight) LX 7531, quasi vom Boeing-Fliessband direkt nach Zürich, war für alle Beteiligten besonders: Für die Swiss ist die HB-JNJ die zehnte und vorläufig letzte Triple Seven. An Bord fanden sich nebst der Besatzung Vertreter des Teams, das innerhalb der Airline in den letzten zwei Jahren für die Einkäufe und die Abnahme jedes einzelnen Fliegers verantwortlich war; darüber hinaus technische Mitarbeiter von Boeing, Vertreter der Reisebranche und KMU-Kunden sowie einige Medienvertreter, die die Übernahme des Fliegers vor Ort begleitet hatten. Insgesamt 70 Fluggäste.

Noch vier Stunden vor Take-off waren sie alle auf dem Tarmac um den Vogel herumgewandert, hatten das obligate Selfie vor den Triebwerken gemacht – und auch ein Gruppenbild wurde organisiert. Dieser letzten «Delivery» war mit Dinner und Werkbesichtigung ein festlicher Rahmen verliehen worden, gemeint auch als Zeichen der Wertschätzung für die Arbeit, die bei der Swiss, bei Lufthansa und bei Boeing im Zusammenhang mit den zehn Flug­zeugen in den letzten zwei Jahren geleistet worden war.

Bevor die neue Maschine ein erstes Mal unter Swiss-Flagge und Swiss-Flugnummer in die Luft steigt, wird sie vom Team und anderen geladenen Gästen umkreist und fotografiert.

Darum die 777-300ER

In der Flottenpolitik lösen die grossen Zweistrahler die in die Jahre gekommenen Airbus A340-300 ab. Die erste 777 mit Schweizer Kreuz am Heck (HB-JNA) hatte im Januar 2016 in Kloten auf­gesetzt; mit der Planung für den Airbus-Ersatz hatte man indes schon 2011 begonnen.

Beat Locher, Head of Aircraft Asset Management bei der Swiss, rief dem Medientross in den Räumlichkeiten von Boeing noch einmal in Erinnerung, warum die ­nationale Airline sich damals für Boeing entschieden hatte: «Wenn Sie die Anzahl Flugzeuge und deren Grösse gleich lassen würden, dann schrumpften Sie gegenüber der Konkurrenz. Sie würden Marktanteile verlieren.» Als die A340-300 auf ihren wichtigsten Routen 90 Prozent Sitzauslastung erreicht hatte, suchte man nach einem grösseren Flieger.

Investition von 330 Millionen

Im direkten Vergleich zum Airbus bietet die 777-300ER 120 Sitzplätze mehr (340 statt 220) und mit 202 Kubikmetern auch 37 Prozent mehr Frachtvolumen. Gerade die Luftfracht sei für die Schweiz als Exporteur von Luxusuhren oder Produkten der chemisch-pharmazeutischen Industrie von grosser Bedeutung, unterstrich Locher. «Und damit ist sie auch für die Swiss wichtig.» Zwar verbrauchen die beiden Triebwerke des Typs GE90-115B der neuen Boeing etwa 15 Pro-zent mehr Treibstoff als die vier CFM56-5C4/P der A340. Unter dem Strich aber resultieren um 19 Prozent niedrigere Kosten pro Sitzkilometer – und damit stellt sich eine Airline im Wettbewerb besser auf. Zuletzt habe auch der Zeitpunkt eine Rolle gespielt, zu dem der A340-Ersatz verfügbar sein musste. So führte Locher weiter aus, dass potenzielle Alternativen wie die A350-1000 von Airbus oder die neue Boeing 777-9 nicht rechtzeitig bereitgestanden hätten.

Nachdem die Swiss zunächst nur sechs neue Flieger bestellt hatte, sind es am Ende doch ganze zehn Stück. Laut Locher wäre ein vollständiger Ersatz aller 15 Airbusse A340 naheliegend gewesen, angesichts des grossen Investitionsvolumens entschied man sich jedoch für den Ersatz eines Teils der Flotte. Als die Swiss die ­Anschaffung der zehnten 777-300ER im Oktober 2016 bekannt gab, bezifferte sie die Investition für die eine Maschine mit 330 Millionen Dollar.

Alle zehn bestellten Flieger hat Boeing rechtzeitig ausgeliefert. Das ist angesichts des aktuellen Produktionsvolumens eine Leistung: Pro Jahr liefert Boeing total 700 neue Maschinen aus – und hat für 2018 die eigene Messlatte gar beim Rekordwert von 810 ­aufgehängt. Damit die Liefer­geschwindigkeiten eingehalten werden können, beschäftigt die Firma allein in der als grösste Halle der Welt bekannten Fertigungsstätte in Everett 34 000 Mitarbeitende – und dabei wird der mit Abstand am meisten ­bestellte Flugzeugtyp, die 737, noch nicht einmal dort gebaut. Nebst der 777 rollen nördlich von Seattle die 787, die 747-8 und die 767 vom Band. Für die End­montage einer 777-300ER, die aus 3 Millionen Teilen besteht, braucht das Werk 14 Wochen.

Für die Zukunft rechnet der amerikanische Flugzeughersteller mit einem immensen Bedarf: In seiner Prognose für die zwei Dekaden von 2017 bis 2036 geht Boeing von 41 030 neuen Maschinen aus, die weltweit geordert werden würden. Gegenwert: 6,1 Billionen Dollar.

Erster Offizier Frank Zuber: «Dieses Flugzeug ist gemacht für den Piloten.»

Erster Offizier Frank Zuber: «Dieses Flugzeug ist gemacht für den Piloten.»

«Die 777 fliegt sich direkter»

Über Kanada hat LX7531 die ­Reiseflughöhe rasch erreicht, und Frank Zuber im noch unverbrauchten Cockpit findet etwas Zeit, sich zum neuen Fluggerät zu äussern. Als ehemaliger Airbus-Pilot hat er den direkten Vergleich – und ja, da gebe es grosse Unterschiede, sagt er. «Dieses Flugzeug ist gemacht für den Piloten.» Es lasse sich ganz intuitiv fliegen, wie eine Cessna oder eine Piper. «Die Steuerung beim Airbus erfolgt durch einen Sidestick. Diese Bewegung wird erst von einem Computer verarbeitet und dann digital auf die Steuerflächen übertragen. Die Inputs auf dem Steuerhorn einer B777 werden zwar auch elektronisch umgewandelt, die Ausführung erfolgt aber unmittelbar und direkter.» Und dann kommt Zuber auf die Triebwerke zu sprechen: «Wir fliegen jetzt auf 35 000 Fuss Höhe mit 83,6 Prozent der Leistung – und wir sind schneller unterwegs als mit einer A340. Da ist im Vergleich einfach noch viel mehr Reserve vorhanden.»

Gegen 8 Uhr morgens flog die HB-JNJ dann zum ersten Mal im Schweizer Luftraum, wo es zur Krönung eine Extrarunde über die heimischen Alpen gab. Bei strahlendem Morgensonnenschein zeigten sich Matterhorn, Jungfraujoch und Konsorten von ihrer fast schon zu kitschig schönen Seite; und zwei F/A-18 der Luftwaffe erwiesen dem jüngsten Mitglied der Swiss-Flotte ihrerseits die Ehre.

Text und Bilder: Florian Schaer
Videos: Florian Schaer / Michael Caplazi

Zwei F/A-18 der Luftwaffe erwiesen dem jüngsten Mitglied der Swiss-Flotte die Ehre.

Zwei F/A-18 der Luftwaffe erwiesen dem jüngsten Mitglied der Swiss-Flotte die Ehre.

Um 8.33 Uhr setzte die Triple Seven auf Piste 14 auf. Gemäss Aussage von Kapitän Yves Dissler hat das neue Flugzeug sämtliche Erwartungen bestens erfüllt.

© Tamedia