Das Chinesische Neujahr

Sie haben zusammen das Chinesische Neujahr gefeiert: (vorne v.l.nr.): Jinjin Shi, David Sieber, Li Sieber, Xiau Qing Li; (hinten): Jessica Siegrist, Victor Sieber, Lei Siegrist, Gaocai Yang.

Familie Sieber feiert gemeinsam mit Freunden das Chinesische Neujahr bei sich zuhause. Abgesehen vom Datum unterscheidet sich das fernöstliche Fest gar nicht so gross vom Silvester, wie er in der Schweiz gefeiert wird. Wichtig ist, gut zu essen und zusammen Zeit zu verbringen.



Text: Katja Büchi
Bilder: Sibylle Meier
Realisation: Michael Caplazi


Der Teig für die chinesischen Teigtaschen wird in kleine Stücke geschnitten, flachgedrückt und schliesslich ausgewallt.

Der Teig für die chinesischen Teigtaschen wird in kleine Stücke geschnitten, flachgedrückt und schliesslich ausgewallt.

In der Wohnung von Familie Sieber herrscht Hochbetrieb. Li Sieber, die gemeinsam mit Sohn Victor und Ehemann David im Zürcher Unterland lebt, hat vergangenen Sonntag chinesische Freundinnen und Freunde zu sich nachhause eingeladen, um das Chinesische Neujahr (siehe Infobox) zu feiern. Zwei von ihnen stehen in der Küche und bereiten in sorgfältiger Handarbeit Dumplings zu. Den Teig wallen sie in kleine Kreise aus, bevor sie die Füllung - Schweinefleisch, Gemüse und Gewürze - dazugeben und die Teigtaschen gekonnt falten.

Derweil sind Li Sieber und die anderen Gäste im Wohnzimmer. Sie sprechen über unterschiedliche Traditionen in unterschiedlichen Regionen ihres Herkunftslandes. «An Silvester geht meine Familie, die im Süden von China lebt, nach dem Abendessen auf den Markt und kauft Blumen. Das bringt Glück», berichtet die Gastgeberin. «Wir haben ganz andere Bräuche. Wir gehen vor Neujahr auf den Friedhof und legen Essen auf die Gräber von verstorbenen Familienmitgliedern», entgegnet Gaocai Yang, der aus dem Norden des Landes stammt. Damit zeige man den Toten, dass man sie nicht vergessen hat.

«Es herrscht ein Ausnahmezustand»

Da in der Schweiz verhältnismässig wenige Chinesen leben, gegen 20000, und es entsprechend auch keinen «Chinatown» gibt, wie es etwa in London oder New York der Fall ist, hat Li Sieber die private Feier organisiert. Das wichtigste an diesem Feiertag sei, darüber sind sich alle Anwesenden einig, Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen und gut zu essen. «Chinesisches Neujahr ist für uns wie Weihnachten», vergleicht Li Sieber. Dennoch: Sie feiert im Zürcher Unterland, nicht in Guang Zhou, wo ihre Verwandtschaft lebt. Dies liege am enorm hohen Verkehrsaufkommen, das zu dieser Zeit herrscht. Zudem bleiben auch viele Geschäfte, Firmen und Behörden geschlossen. «Es herrscht ein Ausnahmezustand, es ist einfach alles ein bisschen anders», weiss Sohn Victor Sieber. Den Schweizer Silvester, also den Jahreswechsel nach gregorianischem Kalender, verbringt die dreiköpfige Familie dafür meist in China. «In den Städten ist es mehr und mehr Trend, das auch zu feiern», fügt der Schüler hinzu.

«An Silvester geht meine Familie, die im Süden von China lebt, nach dem Abendessen auf den Markt und kauft Blumen. Das bringt Glück»,

Li Sieber, Gastgeberin



Mandarin reicht zum Überleben

Vor über 20 Jahren ist Li Sieber in die Schweiz gekommen, um ein Tourismus-Studium zu absolvieren. Wenig später hat sie hier über gemeinsame Freunde ihren Mann David kennengelernt. Er hat zwar keine Wurzeln in China, doch die asiatische Kultur hat ihn schon als Kind fasziniert. «Ich habe früher Karate und Kung Fu gemacht», berichtet er. Doch die Sprache könne er noch immer nicht, er spreche nur «Überlebenschinesisch». Sohn Victor versteht zwar sehr viel, doch auch für ihn ist das Sprechen ziemlich schwierig. «Meine Mutter spricht mit mir chinesisch, ich antworte dann auf Deutsch», schildert er die Sprachsituation. Umgekehrt war die deutsche Sprache für Li Sieber, die zwei Praxen mit traditioneller chinesischer Medizin (TCM) in der Region führt, ebenfalls eine grosse Herausforderung. Miteinander sprechen die drei meist Hochdeutsch.

Zusammen kochen ist Teil vom Fest

In der Küche macht sich Li Sieber ans «Kung Pao», ein Gericht aus Huhn, Erdnüssen und Gemüse. Der Dumpling-Koch, der hauptberuflich TCM-Spezialist in ihren Praxen ist, wirft die Teigtaschen ins kochende Wasser. Einige davon brät er später noch an. Das gemeinsame Kochen gehöre dazu, es sei ein Teil der Feier: «Das macht doch Spass», sagt Li Sieber begeistert.

Ebenfalls wichtig am Chinesischen Neujahr ist die Farbe Rot, denn Rot bringt Glück. Sie ist in der Wanddekoration zu finden, einige der Gäste haben sich in der Glücksfarbe eingekleidet. Rot sind auch die mit Geld gefüllten Couverts, genannt «Hong Bao», die Kinder, manchmal aber auch Studierende und Unverheiratete an Neujahr erhalten. So am vergangenen Sonntag auch die beiden jüngsten Anwesenden, die beide noch zur Schule gehen.

«Als ich noch ein Kind war, waren da vielleicht 10 Yuan drin. Mittlerweile kann man zwei Nullen anhängen», erinnert sich Li Sieber. Umgerechnet sind das etwa 1,50 Franken beziehungsweise 150 Franken. «Neujahr war für mich die glücklichste Zeit. Es erhielt das ‹Hong Bao› und neue Kleidung», fügt sie hinzu.

Schweinefüsse auf dem Tisch

Nach und nach wird das Buffet aufgebaut. Auf den Tisch kommen Rindfleisch, Ente, Dumplings, Gurkensalat mit Knoblauch, Tofu, Schweinefüsse und Poulet «Kung Pao». Statt sich eine Portion auf einen Teller zu schöpfen, nimmt man mit den Stäbchen direkt von den Platten. Um nicht zu tropfen, werden kleine Schalen unters Essen gehalten. Als Würze dient nicht etwa Sojasauce, sondern Essig. Und wer denkt, zu chinesischem Essen gibt es immer Reis, der hat sich getäuscht.



Die grösste regelmässige Migrationsbewegung

2019 war das Chinesische Neujahr, einer der höchsten chinesischen Feiertage, am 5. Februar. Das Datum des Neujahrs fällt immer auf den Neumond nach der Wintersonnenwende, in den Zeitraum vom 21. Januar bis 21. Februar. Für die Bestimmung wird der chinesischen Lunisolarkalender verwendet. Dieser herkömmliche Kalender wird heutzutage hauptsächlich nur noch gebraucht, um traditionelle Feiertage wie das Neujahrsfest zu berechnen.

Anders als die hierzulande verbreiteten Tierkreiszeichen, die jeden Monat wechseln, ändern die chinesischen Tierkreiszeichen, ebenfalls zwölf, jährlich. So wechselte man in China Anfang Woche vom Jahr des Hundes ins Jahr des Schweins. Jedes Tier hat eine Bedeutung, so gelten Menschen, die im Jahr des Schweins geboren werden, als besonders liebenswürdig, gutmütig und einfühlsam.

Die Feierlichkeiten dauern nach dem Jahreswechsel noch zwei Wochen an. Den Abschluss bildet das Laternenfest am 15. Tag des neuen Jahres. Vielerorts werden zu diesem Anlass bunte Laternen aufgestellt sowie traditionelle Drachen- und Löwentänze gezeigt.

Neujahr ist ein Fest, das Chinesinnen und Chinesen - rund 1,4 Milliarden Menschen - typischerweise mit der Verwandtschaft verbringen. Da die Familienmitglieder oft an ganz unterschiedlichen Orten leben, kommt es in der Zeit um das Chinesische Neujahr jeweils zur grössten regelmässigen Migrationsbewegung der Welt. Dieses stark erhöhte Verkehrsaufkommen während 40 Tagen im Januar und Februar wird «Chunyun» genannt. Gemäss Schätzungen geht man von rund 3 Milliarden Reisen in dieser Zeit aus, ausgeführt von rund 400 Millionen Personen - Tendenz steigend.

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