Ich braue mir mein eigenes Bier

Seit August dieses Jahres wird in Rümlang in der Werkstatt eines Braukollektivs Bier gebraut. Die ZU-Korrespondentin Jasminka Huber stellte sich der Herausforderung und braute ihren eigenen Gerstensaft – ein Selbstversuch mit viel Muskelkraft.

Hätte mir jemand vor zehn Jahren gesagt, ich würde einmal genüsslich ein Feierabendbier trinken, hätte ich nur den Kopf geschüttelt. Bier war für mich das Synonym für bitter. Bis ich vor fünf Jahren in einem Zürcher Restaurant die dort selber gebrauten Biersorten degustieren durfte. Plötzlich sprangen meine Geschmacksknospen an. Es schmeckte nach Caramel, Kaffee und Schokolade! Wie das? Ich erfuhr, dass dieses dunkle und kräftige Bier den Geschmack und die Farbe dem Malz verdankte.

Dazu etwas Bierlatein: Bier besteht grundsätzlich aus Wasser, Hopfen, Malz und Hefe. Braumalz entsteht, wenn Getreide unter Zugabe von Wasser aufquillt, keimt (Mälzen) und anschließend unter Heißluft getrocknet wird (Darren). Die Zusammensetzung von verschieden gedarrten Malzen ergibt tausende von Geschmackskombinationen. Vor allem kleine Bierbrauereien und Hobby-Brauer tüfteln an eigenen Geschmackskreationen herum. Wie Hugo Gutknecht in seiner Rümlanger Brauwerkstatt. Die Gelegenheit mit ihm zusammen Bier zu brauen, lässt mein Herz höher schlagen, endlich darf ich miterleben, wie mein Lieblingssaft zum Leben erweckt wird.

Der eintägige Brauprozess beginnt: Gutknecht entschliesst sich mit mir ein Robust Porter, das 2015 und 2018 die Goldmedaille gewonnen hat, zu brauen. Dazu mischt er sechs verschiedene Malzsorten. Ich kaue das fast schwarze Roggen-Caramel-Malz und schmecke ein starkes Kaffee-Röstaroma. Die anderen Malzsorten schmecken bitter, süsslich und erdig – diese Aromen und die Farbe gelangen später ins Brauwasser. Dann wird das Malz geschrotet. Ich lasse es durch die Finger gleiten, um die Konsistenz zu prüfen. Zum Glück hilft ein Gabelstapler die Malzmischung von 71 Kilogramm in den Maischekessel, der mit 200 Liter warmem Wasser gefüllt ist, zu leeren.

Schritt für Schritt zum eigenen Bier

Jetzt beginnt das Einmaischen: Innerhalb von drei Stunden wird die Maische bei verschiedenen Temperaturen auf 78 Grad erhitzt. Bei diesem Prozess wird Stärke in Zucker umgewandelt und die im Malz befindlichen Enzyme lösen sich in das Brauwasser. Nach drei Stunden beginnt das Läutern, das 90 Minuten dauert. Die Würze, so nennt man den flüssigen Teil, läuft durch den Läuterboden in den Sudkessel. Der Läuterboden hält die festen Stoffe zurück, es bildet sich der Treberkuchen. Im Schauglas ist die Farbe der Würze deutlich erkennbar.

Putzen und immer wieder Kontrollblicke: In der Zwischenzeit ist mir klar geworden, wieso ich Stiefel mitnehmen musste. «90 Prozent der Brauarbeit besteht aus putzen», meint mein Braumeister lachend. So schlimm ist es dann doch nicht. Aber kräftige Oberarme sind gefragt, als es gilt die 110 Kilogramm Treber aus dem Maischetank in einen Container zu befördern. Der Duft ist würzig und lässt den Biergeschmack erahnen. Der Treber wird in einer Biogasanlage wiederverwertet. «Man könnte ihn aber auch als Tierfutter verwenden oder zum Brotbacken», erklärt Gutknecht. Währendem wird im Sudkessel die Würze zum Kochen gebracht, bevor in zwei Schritten 400 Gramm gepresste Hopfendolden zugegeben werden. Damit alle Restkeime abgetötet werden und die Bitterstoffe des Hopfens in die Würze übergehen, wird der Sud eine Stunde gekocht.

Vergärung dauert sechs bis acht Wochen: Das Mittagessen – es gibt würziges Treberbrot mit Beilagen – wird in der Brauerei eingenommen, denn der Sud muss ständig kontrolliert werden. Dann wird die Würze mit Hilfe eines Plattenkühlers auf die Anstelltemperatur – bei diesem Bier 22 Grad – heruntergekühlt und mittels Pumpe und Schlauch in den Gärtank geleitet. Vorher kontrollieren wir aber noch den Wert der Stammwürze im Messzylinder mittels einer Spindel. Auch der Geschmack deutet jetzt schon auf ein kräftiges Bier hin. Im Gärtank kommt die Hefe dazu. Nach acht bis zehn Stunden wird die Gärung beginnen. Die Hefe frisst den vergärbaren Zucker auf und produziert als Abfallprodukt CO2 und Alkohol. Während der sechs bis acht Wochen Lagerung wird Hugo Gutknecht die Vergärung regelmässig durch Verkostungen mitverfolgen.

Nach getaner Arbeit stossen wir mit einem bereits fertigen Robust Porter Bier auf unsere Arbeit an. «So sollte es schmecken», meint der Braumeister genüsslich. Es ist ein dunkles, kräftiges Bier mit 6 Prozent Alkoholgehalt und schmeckt nach Schokolade, Caramel mit Kaffeenoten – meine Geschmacksknospen jubilieren und bei der Flaschenabfüllung in zirka sieben Wochen werde ich bestimmt dabei sein.

Text: Jasminka Huber, Fotos: Balz Murer, Realisation: Michael Caplazi

Die Brauwerkstatt

Vierzehn Jahre lang braute Hugo Gutknecht (rechts) Bier in seiner Waschküche, bis er an den 5. Unterländer Biertagen im November 2016 einen Crowdfunding für eine Rümlanger Brauwerkstatt startete. Innerhalb von rund 100 Tagen hatte er 78 000 Franken beisammen. Die restlichen benötigten rund 100 000 Franken trugen diverse private Geldgeber bei. Im August dieses Jahres konnten er und sein Kollektiv, bestehend aus einem Verbund von Bierbegeisterten, die Bevölkerung zum Eröffnungsfest einladen.

Vierzehn Jahre lang braute Hugo Gutknecht (rechts) Bier in seiner Waschküche, bis er an den 5. Unterländer Biertagen im November 2016 einen Crowdfunding für eine Rümlanger Brauwerkstatt startete. Innerhalb von rund 100 Tagen hatte er 78 000 Franken beisammen. Die restlichen benötigten rund 100 000 Franken trugen diverse private Geldgeber bei. Im August dieses Jahres konnten er und sein Kollektiv, bestehend aus einem Verbund von Bierbegeisterten, die Bevölkerung zum Eröffnungsfest einladen.

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